Blässhuhn Fulica atra

 


 

 

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Beringt wurde das Blässhuhnweibchen am 18.05.2016 mitten in Polen bei Wola Kutowa. Das Alter wurde von den Beringern auf älter als 2. Kalenderjahr festgelegt, also nicht mehr immatur, ohne dass das genaue Alter bestimmt werden konnte. Es gibt keine Angaben, ob es sich um einen Brutvogel handelte, und natürlich konnte auch kein Hinweis gegeben werden, wo sein Geburtsort war. Zur Beringung hat das Blässhuhn auch einen Halsring mit der Nummer N 78 erhalten, sonst hätten wir es gar nicht immer wieder zwischen seinen Artgenossen erkennen können und hätten auch nicht die Möglichkeit bekommen, die abenteuerliche und sehr interessante Reise unseres Blässhuhns zu verfolgen.

Zunächst war es, nachdem ihm der Ring angelegt wurde, erst mal verschwunden, um 561 Tage (also fast eineinhalb Jahre) später am 21.10.2017 in Sachsen bei Görlitz am Berzedorfer See in 327 km Entfernung zum Beringungsort aufzutauchen - vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes.

Wo es sich in der Zeit dazwischen aufgehalten hat wissen wir nicht, wohl aber, dass es am 28.09.2018 am Mandichosee in unser Ornithologenleben getreten ist, also nicht ganz ein Jahr später und in etwa 424 km in südwestlicher Richtung zum Berzedorfer See und in 722 Kilometer Entfernung zum Beringungsort.

Wo es den Winter von 2017 auf 2018 verbracht hat und ob die Dame dazwischen auch mal irgendwo gebrütet hat, entzieht sich ebenfalls unserer Kenntnis. Das Blässhuhn hat dann den damals eher milden Winter bei uns auf dem Mandichosee verbracht; zumindest wurde es zuletzt am 23.02.2019 auf Ornitho.de von dort gemeldet. Und eigentlich hätte hier niemand gedacht, dass wir von ihr nochmal etwas hören. Aber tatsächlich ist das Tier im folgenden Herbst am 12.09.2019 und fast genau ein Jahr später nochmal vom Berzedorfer See gemeldet worden, leider wiederum nur einmalig. Das ist nun vielleicht auch der Trivialität der Art geschuldet. Auch das hätten wir womöglich gar nicht erfahren, wenn sich N 78 nicht bei uns auch wieder hätte blicken lassen, nämlich am 22.09.2019 auf dem Mandichosee, ebenfalls fast genau ein Jahr später zum Vorjahr. Das war schon ein viel beachtetes Wiedersehen. Ob dieses Blässhuhn "nur" zwischen dem Berzedorfer See und der Lechstaustufe die Distanz von 424 km pendelte kann nicht gesagt werden, denn leider gibt es von diesem Zeitraum keine weiteren Daten.

Die Wintermonate hat N 78 dann bis zum 24.01.2020 wieder dort verbracht. Vielleicht hat es der ebenfalls sehr milde Winter zu einem früheren Abzug als im Vorjahr bewegt, oder es fühlte sich durch die zunehmenden SUP auf der Lechstaustufe gestört. Durch die Farbberingung konnte die Reise des Blässhuhns weiter verfolgt werden, und so gab es einen Beobachter, der sich die Mühe gemacht hat, die Sichtung (vermutlich auf dem Durchzug) am 19.03.2020 bei Sulejow in Polen zu melden. Das sind nun fast drei Jahre und 10 Monate nachdem es markiert wurde und ca. 723 km in NO Richtung von der Lechstaustufe 23, die der Vogel in höchstens 55 Tagen zurück gelegt hat, und nur 146 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem es einmal markiert wurde. Wie gesagt wurde es wohl auf dem Zug beobachtet, da die nächste Beobachtung dann am 25.07.2020 in Raseiniy in Litauen erfolgte, und das sind von der Lechstaustufe 23 etwa 1130 Kilometer. Ob es dann im Sommer irgendwo dort gebrütet hat und vielleicht auch deshalb schon so früh unsere Region verlassen hat, um rechtzeitig ein gutes Revier zu besetzen, bevor ihr eines der zunehmend in Litauen überwinternden Blässhühner zuvorkommt , bleibt ihr Geheimnis . Aber was wir wissen ist, dass das Blässhuhn am 26.10.2020 abermals am Berzedorfer See in etwa 700 Kilometer in südwestlicher Richtung wieder gesehen und gemeldet wurde und, jetzt wird es wirklich interessant, am 09.11.2020 hat es wieder bei uns, an der für das Blässhuhn nun schon gut bekannten Lechstaustufe 23 Merching, nach Nahrung gesucht. Die Distanz von 424 Kilometer zwischen Berzedorfer See und dem Lech hat es dieses Mal in höchstens 14 Tagen bewältigt. Was ich als sehr beachtlich empfinde bei einer Vogelart, die manchmal den Eindruck erweckt, lieber nicht unbedingt fliegen zu wollen. N 78 hat nun schon das zweite mal die direkte Zugroute vom Berzedorfer See zum Lech genommen, und wenn die Achse Richtung Raseiniy verlängert wird ergibt, sich eine südwestlich ausgerichtete fast perfekte Gerade. Das Blässhuhn ist also scheinbar im Herbstzug in gerader südwestlicher Richtung gezogen.

Es gibt allerdings keinen Beleg dafür, dass das Blässhuhn im Frühjahr an den Berzedorfer See zurückzieht. Inzwischen ist N 78 eine alte Bekannte für uns und wir sind sehr gespannt, ob sie den Winter wieder an der Lechstaustufe 23 verbringt und uns weiter teilhaben lässt an ihrem Lebensweg.

 

Wir haben Ihnen zur besseren Darstellung den Zugweg des Blässhuhns auch in einem kleinen Film zusammen gestellt, den Sie unter folgendem Link ansehen können: 

 

 

 

 

 

Vergleicht man nun diese Beobachtungen mit dem, was in der Literatur über die Artgenossen von N 78 zum Zugverhalten steht, so stellt man fest, dass unser Blässhuhn im Grunde ganz gut dazu passt. Allerdings dürfte das selten so detailliert an einem einzigen Blässhuhn zu beobachten gewesen sein. Der Atlas Ringfunde deutscher Brut – und Gastvögel (kurz Ringfundatlas; F. Bairlein et al. 2014) gibt dazu sehr detailliert Auskunft. Demnach verbringen die in Süddeutschland brütenden Kollegen unseres Blässhuhns den Winter zum größten Teil im Brutgebiet, ziehen aber auch in südwestliche Richtung (vereinzelt wohl auch in südliche) , also eine echte Teilzieherpopulation. Bei Kälteeinbrüchen, bei dem die Binnengewässer zufrieren, wird auch deutliche Winterflucht beschrieben. Somit sind die im Winter in Süddeutschland anzutreffenden Blässhühner auch die Brutvögel, es gibt aber auch einen gewissen Anteil, die aus NO Richtung z. B. aus Polen und Litauen zu uns wandern.

Mehrfach wird eine Winterquartiertreue beschrieben, was N78 fast schon fachbuchmäßig bestätigt. Die weiteste Zugstrecke, die für ein beringtes Blässhuhn ermittelt wurde, beträgt übrigens 2370 km, und ein süddeutsches Blässhuhn wurde im Winter auf Sardinien nachgewiesen.

Vereinfacht gesagt sind drei (Haupt-)Faktoren für das Zugverhalten eines Blässhuhnes entscheidend : klimatische Faktoren, Fortpflanzung und Mauser.

Bei zunehmender Erhöhung der Durchschnittstemperatur im Winter ist anzunehmen, dass das Zugverhalten obligatorisch ziehender Vogelarten in nördlichen bzw. nordöstlicher Verbreitungsrichtung sich dahingehen verändert, dass die Populationen weniger weit ziehen oder der Anteil der ziehenden Individuen abnimmt bis hin zur Herausbildung von einer Standvogelpopulation. Hierbei zeigt sich unser Blässhuhn als sehr variabel. Am Berzedorfer See ist es zwei mal Ende Oktober am 21.10.17 und 26.10.20 aufgetaucht und am 12.09.19 um einen Monat früher. Wenn davon ausgegangen wird, dass es 2018 in dem es am 28.09. auch schon im September in Süddeutschland an der Lechstaustufe 23 Merching aufgetaucht und ebenfalls aus NO Richtung angezogen ist, können in zwei Jahren Zugzeiten bis September beobachtet werden, nämlich 2018 und 2019, und in zwei Jahren erstreckte sich die Zugzeit bis in den Oktober bzw. November, nämlich 2017 und 2020, ohne dass besondere klimatische Bedingungen in Bezug dazu stehen.

Leider ist nicht bekannt, ob das Blässhuhn irgendwo gebrütet hat, denn dann wäre ein möglicher Faktor für die etwas spätere Ankunft eine vorausgehende Brut mit anschließender Mauser. Bei Glutz von Blotzheim 1994 findet sich der Hinweis, dass sich der Legebeginn nach Norden und Osten beträchtlich verschiebt. Zur an die Brutzeit des Blässhuhnes anschließenden Mauser finden sich zum Ablauf in Glutz von Blotzheim 1994 ebenfalls Informationen. Das Blässhuhn vollzieht demnach eine Vollmauser von Juni/Juli bis Oktober; Nichtbrüter werfen die Schwingen bereits im Juni ab. Bei Brutvögeln schwankt der Mausertermin, wahrscheinlich je nach Stand der Brut, individuell sehr stark. Insofern ist bei dem zeitlichen Auftreten von N78 zweimal im September und zweimal im Oktober in Süddeutschland davon auszugehen, dass das Tier erst nach Abschluss der Mauser gezogen ist. Da es wie gesagt keine Hinweise darauf gibt, ob das Blässhuhn gebrütet hat und wo der tatsächliche Aufenthaltsort im Sommer war, da es außer einer einmaligen Meldung einer Beobachtung am 25.07. aus Litauen keine weiteren Beobachtungen aus dieser Zeit gibt, kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass das Blässhuhn gebrütet hat, es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Es bleibt meines Erachtens spekulativ, welche Ursachen dem zeitlich stark versetzten Auftreten des Vogels zugrunde liegen. Vielleicht können wir an der Reise unseres Blässhuhnes weiter teilhaben. Es zeigt auch bisher schon, wie ungemein spannend diese Informationen bei individuell erkennbaren farbberingten Vögeln sind, wenn die Beobachtungen zu diesen Tieren auch gemeldet werden. Damit ist natürlich auch unsere Bitte an Sie verbunden, dies zu tun (auch nachträglich!). Auf der Homepage von Euring können die notwendigen Informationen zu den entsprechenden Beringungsprojekten entnommen werden. Sie können die Daten gleichzeitig auch auf Ornitho.de in das Bemerkungsfeld eintragen. Da das Portal für das Bemerkungsfeld eine Volltextsuche beinhaltet, ermöglicht dies die Daten heraus zu filtern, natürlich nur wenn die Ringdaten bekannt sind.